BLAUER SONNTAG der Industriekultur

Wie hat die Industrialisierung unser aller Leben verändert? Welche Auswirkungen hat/hatte die Industrie gestern/heute/morgen auf unser Leben, auf unsesre Lebensräume und -Umstände? Der BLAUE SONNTAG gewährt Einblicke in die Wirtschafts- und Sozialgeschichte Nordhessens und dokumentiert deren Auswirkungen auf unsere heutige Lebenswelt.

Nordhessen ist ein Industriestandort mit langer Tradition, wenngleich die Entwicklung der Industrialisierung anfangs nur gemächlich in Gang kam. Am Hohen Meißner befindet sich zum Beispiel der älteste Braunkohlen- und Tonbergbau Deutschlands. Und seit Denis Papin, der französische Physiker, Mathematiker und Erfinder, in der Eisenhütte Veckerhagen um 1700 den ersten Dampfzylinder für eine Hochdruckdampfmaschine gießen ließ, sind erstaunliche Erfindungen und Bahn brechende Entwicklungen gefolgt, die in dieser Region ihren Ursprung haben.

Branchenriesen wie Henschel & Sohn, Salzmann & Comp., Kali + Salz, Volkswagen und SMA hatten und haben hier ihren Sitz. Die Industrialisierung hat vielen Menschen neue Erwerbsmöglichkeiten gebracht, ihr Leben geprägt und gleichzeitig das Bild Nordhessens bis heute verändert.

Die Verwaltung des industriekulturellen Erbes liegt in ehrenamtlichen Händen oder in der Verantwortung weniger Museen in kommunaler Trägerschaft.  Hinzu kommen aktuell produzierende Betriebe. Die kleinen und großen Standorte thematisch zu verknüpfen und ihre Akteure in einen Dialog zu bringen, ist eine Aufgabe, der sich das netzwerk industriekultur nordhessen nino widmet. Gemeinsame Aktivitäten - wie der BLAUE SONNTAG der Industriekultur - sollen helfen, nordhessische Industriekultur als einen wichtigen Bestandteil regionaler Identität touristisch zu vermarkten.

Am Montag mache ich blau

Dieser Satz kommt uns allen bekannt vor: der kleine, flüchtige Ausstieg aus dem Alltag, die fast poetische Umschreibung eines Verhaltens, das nüchtern betrachtet kein Kavaliersdelikt ist.

 Das netzwerk industriekultur nordhessen nino lädt alle ein - ganz ohne Folgeschäden für die berufliche Karriere - ‚blau‘ zu machen und sich auf Entdeckungsreise durch die Industriegeschichte unserer Region zu begeben.

Woher kommt der Begriff blau machen eigentlich? Eine Spur führt zu den Blau- oder Indigofärbern: sie kochten den zu färbenden Stoff erst in einer übel riechenden Brühe aus Indigo und alkoholangereichertem Urin, um in der darauf folgenden Trocknungsphase an der frischen Luft ihrem Stoff beim blau werden – betrunken im Gras liegend - zuzusehen. Einen weiteren Anhaltspunkt liefert die sogenannte blaue Messe, die an bestimmten Montagen im Jahr für die Verstorbenen des Handwerks gelesen wurde und den Gesellen der Zunft einen freien Tag bescherte.
In Nordhessen wiederum zelebrierte man Ende September stets den Lichtblauen Montag mit einem freien Arbeitstag - danach wurde in den Betrieben wieder bei künstlichem Licht gearbeitet.

Woher der Begriff auch immer kommt: ‚Blau machen‘ umgibt die Aura einer kleinen Flucht aus dem Alltag – einer außerplanmäßigen, besonderen Belohnung. Auch der Blaue Sonntag der Industriekultur möchte mit attraktiven Vorschlägen zu Ausflügen und Besichtigungen per Fuß, Rad, Regiotram und Auto am letzten Ferienwochenende in Hessen Groß und Klein belohnen

netzwerk industriekultur nordhessen nino

Die Industrie- und Technikgeschichte spielt in Nordhessen eine prägende Rolle, wenngleich sie im Alltag nur noch bedingt präsent ist. Bergbau prägt beispielsweise nicht nur die Landschaft, sondern auch das Leben der Menschen. Auch die Folgen der Ansiedlung von Rüstungsindustrie in Kassel lassen sich noch heute im Stadtbild ablesen. Und seit Denis Papin, der französische Physiker, Mathematiker und Erfinder, in der Eisenhütte Veckerhagen um 1700 den ersten Dampfzylinder für eine Hochdruckdampfmaschine gießen ließ, sind erstaunliche Erfindungen und Bahn brechende Entwicklungen gefolgt, die in dieser Region ihren Ursprung haben.

Branchenriesen wie Henschel & Sohn, Salzmann & Comp., Kali + Salz, Volkswagen und SMA hatten und haben hier ihren Sitz. Die Industrialisierung hat vielen Menschen neue Erwerbsmöglichkeiten gebracht, ihr Leben geprägt und gleichzeitig das Bild Nordhessens bis heute verändert.

Das netzwerk industriekultur nordhessen nino hat sich zur Aufgabe gemacht, den reichen Schatz an lebendigen Zeugnissen des produzierenden Gewerbes sowie der Infrastruktur ins Bewusstsein zu bringen und für Besucher zugänglich zu machen. Dabei sollen wirtschaftliche, soziale, technische, architektonische und städtebaulicher Entwicklung in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft erfahrbar und nachvollziebar werden. Kleine und große Standorte der Industriekultur thematisch zu verknüpfen und ihre Akteure in einen Dialog zu bringen ist ein weiteres Ziel des netzwerks nino.

 

Aktivitätennino netzwerk

Quartett-Spiel
Konzeption und Herausgabe eines Quartett-Spiels mit 32 ausgewählten Standorten der Industriekultur, in Kooperation mit dem Arbeitgeberverband Nordhessen, 2006

Wanderausstellung
Konzeption und Umsetzung einer Wanderausstellung mit dem Titel "Schichten, Schächte, Schlote: Nordhessen - wo Industriekultur lebendig ist", bestehend aus 6 großen, zusammenklappbaren Paneelen. Konzeption und Herausgabe einer Begleitbroschüre, 2008. Die Wanderausstellung kann für Veranstaltungen / Ausstellungen kostenfrei übernommen werden.

Ausflugsbroschüre
Konzeption und Herausgabe einer Broschüre mit Ausflugstipps unter dem Titel "Lebendige Industriekultur in Nordhessen: Stippvisiten, Tagestouren, Exklusiv-Führungen", 2008

NVV Broschüre "Schächte & Schlote"
Inhaltliche Betreuung der NVV-Ausflugsbroschüre, Darstellung von 33 Orten der Industriekultur in Nordhessen - vom Bergwerk bis zur Solarfabrik - mit Anreise-Tipps für Bus, Tram und Bahn, jährlich seit 2010

Kalender "Industriekultur in Hessen"
Konzeption und Herausgabe eines DIN A3 Foto-Kalenders in Zusammenarbeit mit dem Landesamt für Denkmalpflege, KulturRegion FrankfurtRheinMain, Kunststoffstraße im Landkreis Darmstadt Dieburg, Route der Industriekultur in Mittelhessen, 2014, 2016, Auflage 2.500 St.

BLAUER SONNTAG - Tage der Industriekultur
Konzeption und Veranstaltung der jährlichen am letzten Wochenende der Hessischen Sommerferien stattfindenden Tagen der Industriekultur mit über 100 Einzelveranstaltungen an 60 verschiedenen Standorten. Der BLAUE SONNTAG findet seit 2009 statt.

BLAUER SONNTAG AUF ACHSE
Durchführung von exklusiven Sonderführungen über das ganze Jahr verteilt (seit 2011).

Organisation

Das netzwerk industriekultur nordhessen nino wird getragen von der Fördergesellschaft Nordhessen mbH. Bei Rückfragen, Anfragen, Anregungen steht Frau Dörte Lenz von der Fördergesellschaft Nordhessen, Tel 0561 7094912 oder doerte.lenz@nordhessen.de jederzeit gerne zur Verfügung.

Industrielle Geschichte

Die industrielle Geschichte Nordhessens ist vielfältig und differenziert. Mit der folgenden Seite möchten wir Ihnen mit einigen Schlaglichtern einen ersten Eindruck vermitteln und Sie zu eigenen Entdeckungen, beispielsweise an einzelnen Standorten, anregen.
 

Vorindustrielle Produktion

Schon vor der industriellen Phase wurden einige Produktionsstätten in Nordhessen von den Landesherren zur gezielten Förderung der Wirtschaft ins Leben gerufen. Vor allem Landgraf Philipp der Großmütige (1518 – 1567 / Messinghütte in Oberkaufungen, Hessischer Gläsnerbund, Braunkohlenabbau am Meißner u.v.m.) und Landgraf Carl (1677 – 1730 / Landgraf-Carl-Kanal, Eisenhütte in Veckerhagen, Messinghof Kassel, Gießhaus Kassel u.v.m.) förderten zahlreiche, noch heute bekannte Produktionsstätten.
Französischer Flüchtlinge führten neue Erzeugnisse und Produktionsmethoden, insbesondere in der Lederverarbeitung und im Textilgewerbe ein: gewirkte Strümpfe, Glacé-Handschuhe.
Handwerk und Gewerbe waren in Nordhessen bereits lange vor 1840 überdurchschnittlich stark ausgeprägt. Im großen und ganzen erwies sich die überwiegend in ländlichen Gegenden angesiedelte Industrie als wenig krisenanfällig. Die in den Fabriken beschäftigten Arbeitskräfte bezogen in den meisten Fällen nicht allein ein Einkommen aus ihrer gewerblichen Tätigkeit, sondern bewirtschafteten daneben noch kleine landwirtschaftliche Betriebe. Dieses System ineinandergreifender Erwerbstätigkeit ermöglichte es den Unternehmern, in konjunkturell ungünstigen Zeiten die Arbeitszeit zu verkürzen oder auch Arbeitskräfte zu entlassen, um sie bei Verbesserung der wirtschaftlichen Lage wieder einzustellen.
 

Industrialisierung ab 1866

Den Weg der „eigentlichen“ Industrialisierung hatte Nordhessen vergleichsweise spät beschritten. Er blieb unter dem restriktiven Kurs der kurfürstlichen Regentschaft Einzelinitiativen vorausschauender Unternehmer überlassen, das traditionelle Gewerbe den gewandelten Marktstrukturen anzupassen. Die Okkupation durch Preußen 1866 belebte die Konjunktur und beschleunigte den Wandel. Die sich ansiedelnden Industriezweige wurden entscheidend durch das Vorhandensein bestimmten Standortfaktoren beeinflusst, wie z.B. Rohstoffe und Energieträger, aber auch eine verkehrsgünstige Lage.

Die Anstöße zur Mechanisierung der Betriebe, die besonders früh im Bergbau (Braunkohle, Kali, Ton, Kupfer, Schwerspat) und in der Textilherstellung einsetzte, ergaben sich meist zwangsläufig aus der Marktsituation. Gegen ausländische Konkurrenz und Billigwaren konnten sich traditionelle Gewerbe nur noch selten behaupten. Sie überlebten nur, wenn sie die Möglichkeiten für eine billige Produktion ausschöpften.
Die zunehmende Mechanisierung und der Ausbau des Eisenbahnnetzes verbesserten die Transportkostensituation und schufen günstigere Bedingungen für den Bezug von Rohstoffen und Absatz.
 

Entwicklung ab dem ersten Weltkrieg

Mit dem ersten Weltkrieg gewann die Produktion von Lokomotiven und Rüstungsgütern an militärischer Bedeutung, die Fa. Henschel in Kassel war zu diesem Zeitpunkt eine der größten deutschen Produzenten von Lokomotiven. In der Zeit des Dritten Reiches entstanden neben Produktionsstandorten in Kassel mit der Munitionsfabrik Hirschhagen (ab 1935) und der Wiederaufnahme des Kupferschieferbergbau im Richelsdorfer Gebirge (Wiederaufnahme 1938) weitere Schwerpunkte in Nordhessen.
Insbesondere in Waldeck-Frankenberg begann nach dem 2. Weltkrieg eine zweite Phase der Industrialisierung, die dazu führte, dass der zu Beginn des 20. Jh. ländlich geprägte Bereich heute einen hohen Anteil an Arbeitern in der Industrie vorweisen kann. Hieran zeigt sich, dass in den Teilregionen von Nordhessen die Industrialisierung mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten vorangeschritten ist.